Betriebsrätestärkungsgesetz: zahmer Entwurf unzureichend

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Nur bescheidene Verbesserung geplant. Zentrale Punkte zum Schutz von Betriebsräten bleiben im Gesetzentwurf von Hubertus Heil (SPD) unberücksichtigt.

Aktion gegen Arbeitsunrecht fordert Schwerpunktstaatsanwaltschaften, Betriebsratsbehinderung als Offizialdelikt, verpflichtendes Betriebsratsregister.

Unter der Oberfläche: Die Gefahren einer Betriebsratswahl sind gerade für Betriebsratsgründer:innen alles andere als offensichtlich. Union Buster warten nur darauf, zuzuschnappen. Viele Betriebsratsgründungen werden im Keim erstickt. Wieviele genau? Unbekannt. Deshalb fordern wir ein Betriebsratsregister. (Photo by Sebastien on Unsplash)

Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD steht: „Wir wollen die Gründung und Wahl von Betriebsräten erleichtern“ (PDF Koalitionsvertrag, Zeile 2327). Kurz vor Toresschluss, die Bundestagswahl findet bereits am 26. September 2021 statt, nimmt Hubertus Heil (SPD) das Vorhaben in Angriff. Doch der vorliegende Referenten-Entwurf ist unbefriedigend (PDF des Entwurfs zum Betriebsrätestärkungsgesetz). 

Dabei drängt die Zeit: Die Sitzungsperiode endet bereits vor der Sommerpause am 25.06.2021. Bis dahin sind es nur noch wenige Sitzungswochen.

Schutz für Betriebsratsgründer ab früherem Zeitpunkt

Die erste Hürde jeder Betriebsratsgründung ist Kolleginnen und Kollegen zu finden, die mitmachen. Ein Unterfangen, dass Beschäftigte nur gut vorbereitet starten sollten.
Denn die Verhinderung einer Betriebsratswahl startet oft, sobald das Management auch nur Wind davon bekommt. Der Gesetzesentwurf sieht nun einen verbesserten Kündigungsschutz für 6 Initiatoren einer Betriebsratswahl durch notarielle Beglaubigung vor. Bislang beginnt der Kündigungsschutz für Beschäftigte, die erstmals einen Betriebsrat gründen wollen, erst mit der Einladung zur Wahlversammlung und umfasst nur die ersten drei in der Einladung genannten Aufrufenden.

Zukünftig  sollen laut Entwurf sechs Beschäftigte schon vor der Einladung zur Wahl des Wahlvorstands ihre Absicht zur Betriebsratsgründung notariell beglaubigen lassen können und ab dem Moment der Abgabe dieser Erklärung für bis zu drei Monate besser vor Nachstellungen, Schikanen und Kündigungsversuchen geschützt sein.


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Vereinfachtes Wahlverfahren?

Die Wahl eines Betriebsrats ist zu kompliziert, zu langwierig; sie bietet zuviele Angriffspunkte für professionelle Union Buster, die Wahl zu verzögern oder anzufechten. Schon als wir 2017 unsere Vorschläge zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes erarbeiteten, diskutierten wir diesen Punkt mit mit Gewerkschaftsfunktionär:innen, Betriebsratsmitgliedern und Jurist:innen.

Das vereinfachte Wahlverfahren hat schlicht eine irreführende Bezeichnung. Es würde besser „beschleunigtes Wahlverfahren“ heißen. Einfacher und unkomplizierter ist es gegenüber dem normalen Wahlverfahren leider nicht.

Beim Vereinfachten Wahlverfahren können Beschäftigte innerhalb von 10-14 Tagen einen Betriebsrat gründen. Beim normalen Verfahren dauert der Vorgang leicht 10-12 Wochen.

Der Vorteil liegt auf der Hand: bei einem schnelleren Wahlverfahren haben aggressive Unternehmen und ihnen zuarbeitende Union Busting-Kanzleien weniger Zeit gegen Mitglieder des Wahlvorstands und Betriebsrats-Kandidaten zu intrigieren und sie aus dem Team der Gründungswilligen herauszubrechen.

Es gilt jedoch bei beiden Verfahren: bevor Betriebsratsgründer:innen öffentlich in Erscheinung treten sollten sie sich gut informieren und möglichst rechtssicher in das Verfahren starten. Es gilt unter anderem Formfehler zu vermeiden, die Unternehmen und Union Buster sonst zum Anlass nehmen, die Betriebsratswahl anzufechten und die Initiatoren zu diskreditieren. Die Anfechtung von Betriebsratswahlenl gehört zum Standard-Repertoire von Union Bustern.

Was fehlt?

Eine ganzer Reihe unserer Vorschläge zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes bleiben unberücksichtigt, obwohl sie so wichtig und wirkungsvoll wären, um Betriebsräte wirklich besser zu schützen.

Reform des Betriebsverfassungsgesetz dringend nötig! Unsere drei Hauptforderungen:

1) Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Arbeitsbeziehungen

Wir fordern die Schaffung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Arbeitsrechte und Arbeitsbeziehungen. Eine effektive Strafverfolgung ist an Kompetenzen und Ressourcen gebunden. Wenn beides nicht aufgebaut wird, kann der Staat hier seiner Aufsichtsfunktion nicht gerecht werden. Schwerpunktstaatsanwaltschaften könnten für eine dringend nötige Schubumkehr sorgen.

Es handelt sich bei Union Busting um ein komplexes Themenfeld, das nicht nur um §119 BetrVG (Betriebsratsbehinderung) kreist. Unternehmerkriminalität gegen Mitbestimmung und gewerkschaftliche Organisierung geht häufig einher mit anderen Vergehen und Delikten wie Steuerhinterziehung, Urkundenfälschung (z.B. manipulierte Stundenabrechungen), Lohnraub, Sozialabgaben-Betrug, Verstoß gegen das Mindestlohngesetz, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, die Ausnutzung von betrügerischen Firmen-Konstrukten (dubiose Sub-Sub-Unternehmen, Verlagerung in Steuer-Oasen), Nötigung, Erpressung, Diskriminierung, falsche Verdächtigung, Bestechung (z.B. durch Höhergruppierung), Prozessbetrug, (psychische) Körperverletzung. Wenn kein Betriebsrat und keine Gewerkschaft als Korrektiv vor Ort ist, gibt es intern keine Aufsichtsfunktion.

2) Betriebsratsbehinderung als Offizialdelikt

§119 BetrVG zum Offizialdelikt erklären und auch den Versuch strafbar machen. Meldepflicht durch Staatsanwaltschaften

Es ist nicht einzusehen, warum bislang nur Betriebsratsgremien und Gewerkschaften Verstöße gegen §119 BetrVG zur Anzeige bringen können. Die Behinderung und gezielte Beeinflussung von Betriebsratsarbeit und Betriebsratswahlen muss zu einem Offizialdelikt werden. Auch der Versuch muss strafbar sein (bislang gilt Behinderung als Erfolgsdelikt, das nur bestraft wird, wenn die kriminelle Absicht erfolgreich durchgeführt werden konnte). Auf Behinderung der Betriebsratsarbeit steht bis zu einem Jahr Gefängnis. Diese Straftat gilt deshalb als Vergehen.

Durch § 12 StGB werden Straftaten in Verbrechen und Vergehen definiert, was sich nach dem Mindeststrafmaß richtet. Daher sind die allermeisten Straftaten Vergehen. Unterhalb der Ebene der Straftaten stehen noch die Ordnungswidrigkeiten, hierzu zählt § 119 BetrVG aber nicht.

Zu bemängeln an § 119 BetrVG ist auch das geringe obere Strafmaß von nur bis zu einem Jahr, welches so zum Beispiel auch bei einer einfachen Beleidigung nach § 185 StGB besteht. Wenn man jetzt noch berücksichtigt, dass fast alle Beleidigungsanzeigen eingestellt und die Anzeigeerstatter auf den Weg der Privatklage verweisen werden, sagt dies etwas über die Wertigkeit des § 119 BetrVG aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden.

Wenn Betriebsratsbehinderung zu einem Offizialdelikt wird, muss die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnehmen, sobald sie Kenntnis erhält. Somit werden aber auch Dritte, wie zum Beispiel unsere Initiative in die Lage versetzt, entsprechende Delikte anzuzeigen.

3) Verpflichtendes Melderegister für Betriebsratswahlen

Zur Anzahl der Betriebsräte in Deutschland gibt es derzeit nur Schätzungen, aber keine exakten Zahlen oder Übersichten (nach Branchen, Regionen oder Unternehmenstypen). Erst recht weiß niemand, wie viele Versuche von BR-Gründungen erfolgreich sabotiert wurden. 

Um Betriebsräte schützen zu können, müssen wir sie erfassen und ihre Entwicklung (nach)verfolgen können.

Ein verpflichtendes Melderegister kann der notwendigen Debatte um Betriebsräte und deren Rechte ein solides Fundament geben und Fehlentwicklungen aufzeigen. Gerade das Scheitern von BR-Gründungen und Zusammenbrechen von existierenden Gremien muss nachvollziehbar und erkennbar sein. Vorbild könnte das Register der Gewerkschaftswahlen sein, welches in den USA von der Bundesbehörde für Arbeitsbeziehungen (Nation Labor Relations Board, NLRB) seit den 1930er Jahren (F. D. Roosevelt, New Deal) geführt wird.


Wir empfehlen, diesen Text als Broschüre zu lesen >> pdf runterladen | Ausdrucken und weiter verteilen!


Die Partei Die Linke teilt einige unserer Forderungen, wie etwa die Einrichtung von  Schwerpunktstaatsanwaltschaften, verpflichtende Wahlen und härtere Sanktionen für Behinderung der Betriebsratsarbeit. Auch Bündnis90/Die Grünen haben bereits einen Antrag zum besseren Schutz und mehr Mitbestimmung von Betriebsräten vorgelegt und werden auch zum vorliegenden Entwurf des Ministeriums für Arbeit und Soziales Stellung nehmen. Wir werden an dieser Stelle darüber berichten. 

Sie selbst haben auch Vorschläge zum besseren Schutz von Betriebsratsgründer*innen und Betriebsräten? Wir freuen uns auf Ihre Kommentare und Ergänzungen unter diesem Beitrag.

Warum sind Betriebsräte überhaupt wichtig?

Kurz gesagt: ohne Betriebsräte haben Beschäftigte kein Mitbestimmungsrecht. Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), welches die Rechte des Betriebsrats regelt, bietet dagegen eine ganz Reihe von Einflussmöglichkeiten, die erheblichen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen haben.

Grundsätzlich überwachen Betriebsräte die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen wie zum Beispiel das Mindestlohngesetz, Arbeitsschutzgesetz, Arbeitszeitgesetz und betrieblichen Klimaschutz. Gerade in den Pandemie aktuell: Betriebsräte können den Gesundheitsschutz für ihre Kolleginnen und Kollegen regeln und Betriebsvereinbarungen zum Infektionsschutz abschließen (welche Beschäftigten bekommen im welchem Turnus wie viele Masken, welche zusätzlichen Pausen brauchen sie wegen der Mehrbelastung durch das Tragen der Masken etc.), zu Homeoffice, Kurzarbeitergeld etc.

Darüber hinaus können Betriebsräte Arbeitszeiten (Überstunden), Entgeltstrukturen und eine Vielzahl weiterer Arbeitsbedingungen beeinflussen. Betriebsräte können für wesentlich mehr Transparenz sorgen und bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden und Grundsätze über das betriebliche Vorschlagswesen mitentscheiden.

Zu guter Letzt: Betriebsräte sprechen mit, wenn Umstrukturierungsmaßnahmen anstehen und können einen Sozialplan verhandeln, wenn eine Firma schließt. Ohne Betriebsrat ist hier jeder Beschäftigte auf sich allein gestellt. Mit Betriebsrat gibt es höhere Abfindungen.

Umso schlimmer, dass es schätzungsweise nur noch in weniger 9% aller Betriebe (mit mehr als fünf Beschäftigten) Betriebsräte gibt. Nur schätzungsweise 40% der Beschäftigten in Deutschland profitieren von ihren Mitbestimmungsrechten. Dabei sieht §1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) die Gründung eines Betriebsrats in jedem Betrieb mit mehr als fünf ständig Beschäftigen vor. (Die Differenz zwischen 9% der wahlberechtigen Betriebe und 40% aller Beschäftigten kommt daher, dass viele traditionelle Großbetriebe und fast alle DAX-Konzerne Betriebsräte haben. Je größer eine Belegschaft, desto wahrscheinlicher ist die Gründung eines Betriebsrats.)

Mehr Details zu unseren Forderungen zum besseren Schutz von Betriebsräten auch hier:

Betriebsräte stärken, kriminelle Unternehmer*innen bekämpfen!


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